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Das beschämte Kind

Aktualisiert: 10. Juni


Ein Vater ahmt in einem social media Video seine ca. 3jährige, in einem Wutanfall steckende, Tochter nach. Umgehend hält das Mädchen inne und scheint sich augenblicklich zu beruhigen. Ein Großteil der Kommentare unter dem Video zeigt bestätigenden verbalen Beifall zu dieser, wohl als sehr wirksam erachteten, Methode, mit der Wut von Vorschulkindern umzugehen. Andere Kommentare zeigen Unverständnis hin zu Entsetzen über den väterlichen Umgang.

Eine Klientin berichtete kürzlich von ihrer Bewunderung einer von ihr in einem Drogerie Markt erlebten Mutter, die sich neben ihren, auf dem Boden liegenden und vor Wut schreienden Sohn gelegt habe.


Möglicherweise liegt einem solchen elterlichen Umgang mit den gesunden Aggressionen des Kindes die Annahme zugrunde, dass sich das jeweilige Kind „absichtlich“ so verhalte bzw. „Aufmerksamkeit“ suche.


Der Titel verrät, dass ich eine andere Haltung vertrete. Im Vorschulalter erfolgt die Autonomie- Entwicklung des Kindes. Diese geht mit entwicklungsbedingt gesunden Aggressionen einher, die sich ab dem ca. 1. Lebensjahr in Form von Gereiztheit, Ärger und Wut, dem sogenannten “Trotzen”, zeigen. In den Zeiten altersbedingt natürlichem emotionalen Wirrwarrs, einschließlich damit einhergehender Überforderung, braucht das Kind Erwachsene, die ihm zur Seite stehen und die Rolle des Co- Regulators einnehmen, um es bei der Regulierung seiner  Emotionen zu unterstützen.    

Ein solches elterliches Verhalten bedingt das Beibehalten der Erwachsenen-Rolle einschließlich Übernahme einer Vorbildfunktion: emotional stabil und respektvoll zu bleiben, auch wenn es schwierig wird. Funktioniert ein solches elterliches Verhalten, kann die kindliche Psyche gesunde Aggressionen integrieren und die Autonomie- Entwicklung gelingen. Neben dieser gesunden Entwicklung ermöglicht ein emotional stabiler und respektvoller elterlicher Umgang Vertrauen und Erfahrungen tiefer Verbundenheit, und damit die Stärkung der Bindung.


Szenen, wie das zu- Boden- schmeißen von Vorschulkindern in einem Supermarkt lassen den vorläufigen Höhepunkt eines bereits länger andauenden dysfunktionalen Umgangs mit den gesunden Aggressionen des Kindes vermuten: ein von Verboten, Bestrafungen oder mit Schuldgefühlen behafteten. Diese Art des Umgangs beruht oft auf Erfahrungen des erlebten Umgangs durch die eigenen Eltern und scheint, solange unreflektiert, am eigenen Kind wiederholt zu werden. Das oben beschriebene elterliche Verhalten scheint eher in Ohnmacht und Unvermögen im Umgang mit gesunden kindlichen Aggressionen begründet.     


Dem Kind in emotional überwältigenden Situation zu helfen, gelingt, wenn Eltern in stressigen Situationen ruhig und respektvoll bleiben, um ein sicheres und vertrauensvolles Umfeld und eine Vorbildfunktion zu bieten. Wenn Eltern sich in einer Weise verhalten, die als kindisch, unangemessen oder hilflos empfunden wird, kann das Verwirrung oder Unsicherheit beim Kind auslösen.


Die individuelle Wahrheit liegt vielleicht in der Frage:

was hätte ich mir als Kind in einer mich emotional überwältigenden Situation, wie einem Wut- Anfall, von meinen Bezugspersonen gewünscht?


Solche Fragen helfen nicht nur im Umgang mit dem eigenen Kind, auch können Prozesse ausgelöst werden, was in der eigenen Entwicklung vermisst wurde, und heute gesehen werden darf.

Letztlich ist es immer hilfreich, solche Situationen offen zu reflektieren und nach Wegen zu suchen, wie in stressigen Momenten ruhig und verständnisvoll reagiert werden kann, um das Kind bestmöglich zu unterstützen.


 
 
 

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